Andacht zur Jahreslosung

Andacht zur Jahreslosung 2020 von Pfarrerin Corula Winzer-Chamrád

Ich glaube, hilf meinem Unglauben (Markus 9,24)

 

Die Jahreslosung für 2020 spricht von Glauben und Unglauben, von Glauben und Zweifel, von Vertrauen und Skepsis.
Mit dem Vertrauen ist das so eine Sache. Mir fiel das im letzten Jahr schwer. Ein Zahn, der schon ab und zu geschmerzt hatte, wollte sich nicht mehr beruhigen. Ein guter Grund, mir am neuen Ort einen Zahnarzt zu suchen. Er fand jedoch an dem Zahn nichts. Zur Sicherheit erneuerte er die Füllung. Der Zahn gab kurz Ruhe und schmerzte dann weiter. In meinem Zweifel wechselte ich den Arzt und war voller Sorge. Nach dieser Erfahrung wurde mir bewusst, wie schwer ich neues Vertrauen fassen konnte. Über Monate hinweg war ich in Behandlung. Langsam spüre ich, dass sich der Zahn immer mehr beruhigt. Im Rückblick bin ich erstaunt, wie ich reagiert habe. Ich bin verwundert über mein Misstrauen und meine Angst. Solche Geschichten gibt es viele unter uns.
Eine ähnliche Geschichte gehört zu unserem Bibelspruch, der diesjährigen Jahreslosung aus dem MkEv: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!"
Dies ist der verzweifelte Schrei eines Vaters, der einen epileptischen Sohn hatte. Wer weiß, bei wem er schon war, damit sein Sohn geheilt wird: bei Priestern, Ärzten und selbsternannten Heilern. Niemand konnte ihm helfen. Dann hörte er von Jesus und seinen Taten und machte sich auf den Weg. Erstmal traf er nur auf Jesu Jünger. Der Meister war gerade auf einem Berg, dem Berg der Verklärung. Anstatt auf ihn zu warten, versuchten die Jünger, den Sohn zu heilen. Sie hatten es bei Jesus oft genug gesehen und dachten, dass es wohl nicht so schwer sein könne. Sie handelten wohl auch unter dem Erwartungsdruck der umstehenden Menge. Aber so einfach war das nicht. So erzeugten sie tiefe Enttäuschung. Dann kam Jesus zurück und erlebte den entstandenen Tumult. Er lässt den Jungen bringen und erkundigt sich genau über das Krankheitsbild. Ist es nicht verständlich, wenn der Vater des kranken Jungen zu Jesus sagt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!". Wenn du etwas kannst – darum geht es dem Vater. Jesus antwortet: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt." Plötzlich geht es also um den Mann und seinen Glauben. Jesus dreht den Spieß herum. Das ist eine unmöglich zu erfüllende Bedingung. In vollster Verzweiflung schreit der Mann: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!" Der Mann schaut auf Jesus und geht in Beziehung zu ihm. Er weiß, dass nur Jesus helfen kann - seinem Glauben und seinem Sohn. Denn Glaube ist kein Besitz, keine Leistung des Menschen. Glaube ist ein Vertrauensverhältnis. Deshalb bittet der Vater Jesus um Unterstützung bei seinem Vertrauen. Welche eine Dynamik! Nun heilte Jesus den Jungen und richtete ihn auf. Als seine Jünger ihn fragten, warum sie nicht heilen konnten, verweist Jesus sie auf das Gebet. Wer sich im Gebet an Gott wendet, setzt sein Vertrauen in ihn.
Glauben, beten, vertrauen. Darum geht es im ganzen MkEv. Dazu will Jesus die Menschen ermutigen. Gleich nach seiner Taufe und dem Beginn seines Wirkens sagt er: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium." (1,15) Bei der Heilung des Gelähmten und dem aufgedeckten Dach heißt es: „Da nun Jesus ihren Glauben sah" (2,5) und zur blutflüssigen Frau sagte er: Dein Glaube hat dich gesund gemacht." (5,34). In der Mitte des MkEv bekennt Petrus: „Du bist der Christus!" (8,29). Am Ende erkennt der heidnische römische Hauptmann unter dem Kreuz: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!" (15,39) Dennoch begleitet Jesus der Unglaube der Menschen bis zum Schluss. Er muss Hohn und Spott erleiden. „Der Glaube, das
Glauben und die immer wieder neue Einladung zu diesem Vertrauen sind das Thema des MkEv.
Unsere Jahreslosung für 2020 steht an prominenter Stelle kurz nach dem Petrusbekenntnis und
der Stimme Gottes bei der Verklärung, bei er ihn als Sohn kennzeichnet. Im Schrei des Vaters:
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben", kommt die ganze Schwäche und auch die Stärke unseres
Weges mit Jesus zum Ausdruck. Wir sind und bleiben hin- und hergerissene Menschen. Wir
können glauben, wir dürfen und wollen glauben, aber dass dieser Glaube bleibt – gerade
angesichts aller Krisen, in die wir geraten können -, dazu benötigen wir die Hilfe unseres Herrn
Jesus Christus." (Martina Walter, Martin Werth: Arbeitsbuch mit Auslegungen S. 29)
Hin- und hergeworfensein – das erinnert mich an Wasser und Wellen. Mal schwimme ich
obenauf, mal ängstigt mich das Wellental. Mein Glaube verläuft durch mein Leben in
Wellenlinien auf und ab. Was kann da helfen? Gegen das eintretende Taumeln und den
Schwindel hilft, einen festen Punkt zu fixieren. Übertragen bedeutet das: fest auf Jesus zu
schauen. Die Erzählung von der Sturmstillung mündet in Jesu Frage: „Was seid ihr so
furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?" Als Jesus im Boot schlief, schaute keiner der
Jünger auf ihn, sondern auf die Wellen, die ins Boot schlugen, auf die Gefahr. So schwand
Vertrauen. Zweifel kamen auf. Todesangst machte sich breit. Geht es uns nicht auch so, dass
unser Leben wie eine Nussschale auf stürmischem Wasser hin- und hergeworfen wird? Durch
Krankheit, durch schwere Erlebnisse, durch das, was uns ängstigt. Sind wir dann trotzdem
aufmerksam für Gott, der gegenwärtig ist. Oder starren wir entsetzt auf die Gefahren?
Was bedeutet also in unserem Leben Glaube? Und was Unglaube? Glaube heißt im NT einer
Botschaft und ihrem Überbringer Vertrauen schenken, sie für wahr halten und ihr gehorchen.
Sich auf Gott verlassen. Ihm etwas zutrauen. Zu ihm beten. Der Gegensatz zum Glauben ist der
Zweifel. Dieser verführt dazu, sowohl auf Gott als auch auf eine andere Sicherheit zu vertrauen.
Was heißt das hier und jetzt? Wir stehen heute vor großen Fragen wie dem Klimawandel,
dem Frieden, der Zukunft der Kirche. Wie reagieren Menschen darauf? Die Reaktionen reichen
von Verzweiflung bis zu Aktionismus. Von Gottvertrauen keine Spur. Christinnen und Christen
fragen sich, „was sie tun können, um die Welt zu retten, den Frieden zu sichern, die Zukunft der
Kirche zu gestalten. Als ob es Gott nicht gäbe, als habe Gott die Welt nicht schon gerettet, als
sei der Friede nicht zuerst eine göttliche Verheißung, als erweise sich die Zukunft der Kirche
irgendwo anders als in der glaubenden Weitergabe des Glaubens... Der Unglaube liegt in einem
übersteigerten Selbstbewusstsein, die großen Fragen selbst lösen zu müssen und zu können.
Also in einem Mangel an Vertrauen in Gott. ... Dahinter steht die Angst vor dem Verlust der
Kontrolle über das eigene Leben, über Gegenwart und Zukunft. " (A. Kahnt, DPB 12/2019 S. 691)
Wir wollen Sicherheiten schaffen und opfern dafür unser Gottvertrauen. Dabei sollten wir auf
Gottes Zusagen trauen und ihn wirken lassen. Unsere Gewissheit sollte stärker sein als unsere
Zweifel. Vom Kopf her wissen wir das. Aber es ist schwer.
Um den Glauben müssen wir immer ringen. Er ist kein Besitz, sondern ein Geschenk. Eines,
das sich im Laufe des Lebens wandelt. Wir erleben eine Entwicklung des Glaubens in den
Phasen unseres Lebens. Dazu gehören auch Zeiten des Zweifelns, des kritischen Hinterfragens,
des Reifens hin zu einem Sich-Verlassen auf die Zukunft Gottes für alles Sein. Wir glauben,
aber wir brauchen Hilfe bei unseren Zweifeln.
Schauen wir nun auf die Postkarte der Künstlerin Inge Heinicke-Baldauf, auch abgebildet auf
dem Plakat. Auf dem Hintergrund von strahlendem Gelbgrün bildet sich eine dunkle menschliche
Gestalt ab. Die Silhouette eines vorgebeugten Oberkörpers ist zu sehen. Das Gesicht ist einer
diffusen Lichtquelle zugewendet. Hinter den Malstrukturen verschwinden die Details. Die Figur
steht symbolisch für jeden Menschen. Die grünen, frischen Zweige, die herauswachsen, lassen
aber auch an einen Baum denken, vielleicht eine Weide, die sog. Kopfweiden. In Psalm 1
werden Menschen, die Gottes Wort folgen und ihm vertrauen, mit Bäumen verglichen, die am
Wasser gepflanzt und deren Wurzeln Nahrung finden. Deshalb bringen sie Früchte hervor. Das
Schöne an dieser Darstellung der Künstlerin ist, dass der knorrige Baummensch nach
offensichtlichen Durststrecken wieder ausgeschlagen hat. Er hat die Kraft zum Neubeginn, weil
er gut verwurzelt ist. So auch wir. Wir glauben. Und wir bitten Gott, dass er uns über unseren
Unglauben, unsere Skepsis hinweghilft. Sobald wir das tun, wendet er alles zum Guten. Amen